Möglichkeiten und Hürden rassimusbezogener Beratungsarbeit
Als Teil des Nationalen Diskriminierungs- und Rassimusmonitors befasst sich das Beratungsmodul in enger Zusammenarbeit mit dem Projekt “Recht” mit den Möglichkeiten und Grenzen institutionalisierter Wege sich gegen Rassismus zu wehren. Für das Projekt geht es darum, vorhandene Lücken im Wissen über rassismusbezogene Beratungsarbeit zu schließen und den zum Teil prekären Akteur*innen des Feldes Aufmerksamkeit zu geben. In diesem Rahmen werden die strukturellen Probleme, mit denen Beratungs- und Unterstützungsstellen in ihrer Arbeit konfrontiert sind und die sich daraus ergebenden Bedarfe, qualitativ erfasst.
Leitende Forschungsfragen
- Wie sind die jeweiligen Beratungsstellen entstanden und institutionell eingebettet? Wie sind ihre Förderstrukturen?
- Welche Herausforderungen prägen die Beratungsarbeit? Welche Bedarfe schließen sich hieraus?
- Wie sehen die effektiven Möglichkeiten für Betroffene aus, sich gegen Rassismus auf institutionellem Weg zu wehren? Welche Formen von Rassismus finden dabei (keine) Berücksichtigung?
- Welche strukturellen Hürden gibt es für von Rassismus Betroffene, sich auf institutionellem Wege zur Wehr zu setzen?
Projektbeschreibung
Rassismusbezogene Beratungsstrukturen in Deutschland sind sehr vielfältig entstanden und verankert und dementsprechend nicht zentral organisiert oder gefördert. Hieraus ergibt sich ein diverses Feld an zivilgesellschaftlichen Organisationen von Antidiskriminierungsberatungsstellen und Opferberatungsstellen für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, über Mobile Beratungen gegen Rechtsextremismus bis zu Migrationsberatungen durch Migrant*innenselbstorganisationen. So vielfältig wie die Organisationen ist auch die Art und der Fokus der Beratung, sie reicht von psychisch-emotionaler Unterstützung der Betroffenen und ihres Umfelds über Verweis- und Rechtsberatung bis zur aktiven Begleitung von Gerichtsverfahren, nicht selten leisten die Stellen mehrere dieser Leistungen.
Es herrscht akuter Mangel an Wissen über den Arbeitsalltag und die Herausforderungen von rassismusbezogener Beratungsarbeit. Bereits der spezifische Fokus auf Rassismus ist bisher wenig erforscht, wobei ein längerfristig angelegter Überblick, der die Vielzahl der Einrichtungen berücksichtigt und aufnimmt, explizit fehlte.
Durch das bessere Verständnis des Feldes rassismusbezogener Beratungsarbeit und der spezifischen Herausforderungen sollen Probleme der institutionellen Rassismusbearbeitung aufgezeigt werden, um anschließend gezielte Empfehlungen für politische Maßnahmen zu entwickeln. Es werden das Fortbestehen und Ausmaß der Hürden, Leerstellen und Ausschlussmechanismen betrachtet, mit denen sich Betroffene konfrontiert sehen, wenn sie sich auf dem Rechtsweg gegen Rassismus zur Wehr setzen wollen. Außerdem soll auch erhoben werden, wie die Beratungsstellen selbst die entstehenden Lücken füllen, indem sie eine Vielzahl von Aufgaben übernehmen, die über die bloße Beratungsarbeit hinausgehen. Zu diesem Zweck werden spezifische Tätigkeitsbereiche abwechselnd in den Blick genommen.
In enger Zusammenarbeit mit dem Projekt „Recht“ soll die rechtsimmanente Perspektive mit zivilgesellschaftlichen Perspektiven kontrastiert werden. Diese Kontrastierung dient dazu, mit einem aus der Praxis geschulten Blick herauszuarbeiten, welche Änderungen der Rechtssetzung, Rechtsauslegung und Rechtsanwendung erforderlich sind. Zivilgesellschaftliche Akteur*innen, die sich teilweise seit Jahrzehnten in einem eng umrissenen Bereich einsetzen, kennen nicht nur die Rechtslage gut, sondern wissen auch um die praktischen Auswirkungen, die das geltende Recht auf von Rassismus betroffene Menschen hat. Zudem erfüllen zivilgesellschaftliche Organisationen bei der Aufklärung, Anerkennung und Aufarbeitung rassistischer Gewalt wichtige Funktionen, die idealerweise von staatlichen Institutionen erfüllt werden sollten.
Das Projekt erfasst Strukturen und Bedarfe über qualitative Inhaltsanalysen von grauer Literatur – also Literatur, die durch Organisationen rund um die rassismusbezogene Beratungsarbeit erstellt wird – einerseits und qualitativen, leitfadengestützten Interviews andererseits. Die Interviews werden mit Expert*innen aus der Beratungsarbeit von den erwähnten unterschiedlichen Arten von Organisationen geführt. Die Leitfäden für die Interviews werden dabei in Zusammenarbeit mit dem Projekt „Recht“ erarbeitet. Die Ergebnisse aus beiden Projekten werden in einem zweiten Schritt in Zusammenarbeit trianguliert und im Rahmen von Fokusgruppen vertieft ausgewertet und erweitert. In den Fokusgruppen kommen daher Expert*innen verschiedener Arbeitsfelder – sowohl aus der Justiz als auch zivilgesellschaftlicher Beratungsakteur*innen – zusammen, um die Ergebnisse zu diskutieren und politische Konsequenzen zu erörtern.
Neben der Weiterführung der Bestandsaufnahme und Bedarfsanalyse widmen sich die Projekte “Recht” und “Beratung” aktuell gemeinsam vertiefend der Unterschiede zwischen gelebtem Recht und dem Recht, wie es Gerichte anwenden. Dabei soll ein Fokus auf dem Spannungsverhältnis zwischen der öffentlichen, rechtlichen Anerkennung rassistischer Vorfälle einerseits und der zivilgesellschaftlichen Aufarbeitung solcher Vorfälle andererseits liegen. Hierfür wählen wir im ersten Quartal 2023 gemeinsam konkrete Fälle aus, die von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen als rassistische Vorfälle geführt und thematisiert werden und deren juristische Behandlung auf zivilgesellschaftliche Kritik gestoßen ist. Dabei trägt das “Rechtsmodul” das notwendige Material zusammen, um einerseits die rechtspraktische Entscheidungsfindung und Entscheidungsbegründung und die rechtswissenschaftliche Debatte nachzuvollziehen, während das “Beratungsmodul” andererseits Interviews führt mit Akteur*innen, die sich im Hinblick auf die jeweiligen Fälle engagieren. Im zweiten Quartal 2023 führen die Module gemeinsam zwei Fokusgruppen durch, im Rahmen derer Mitarbeiter*innen der Justiz sowie verschiedener Beratungseinrichtungen gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Akteur*innen artikulieren, welche Rolle die rechtliche Aufarbeitung rassistischer Vorfälle für eine breitere Debatte und die damit verbundenen antirassistischen Kämpfe spielt, welche konkrete Erwartungen an Recht und Justiz in diesem Sinne von Seiten der Betroffenen bestehen, und wie die Justiz aus der eigenen Innenperspektive mit diesen Erwartungen umgeht. Im dritten Quartal 2023 erfolgt die Auswertung der Interviews und Fokusgruppen und die detaillierte juristische Argumentationsanalyse. Im vierten Quartal werden die Ergebnisse zusammengefasst und in Berichtsform gegossen.
Der zentrale Monitoringaspekt der Projekte “Beratung” und “Recht” besteht darin, das Zusammenspiel zwischen rechtlicher und zivilgesellschaftlicher Praxis in Auseinandersetzung mit Rassismus im Zeitverlauf abzubilden. Dabei gibt es wiederkehrende als auch wechselnde Aspekte, die wiederum in der Zusammenschau ein verlässliches Bild über Kontinuitäten und Wandel in den Möglichkeiten und Grenzen institutionalisierter Möglichkeiten, sich gegen Rassismus zu wehren, zeichnen sollen. Im Beratungsmodul werden dafür wechselnd verschiedene Aspekte der Beratungsarbeit fokussiert, um insgesamt ein vollständiges Bild von der Beratungstätigkeit zu zeichnen. Wiederkehrend werden die Bedarfe der Beratungsorganisationen erhoben.
Im Rahmen des Monitorings werden die strukturellen Probleme der zivilgesellschaftlichen rassismusbezogenen Beratungsarbeit näher in den Blick genommen. In der ersten Phase lag hierbei der Fokus auf der Entstehungsgeschichte und den Herausforderungen vorhandener Strukturen, dem vorherrschenden Arbeitsverständnis(sen) von Rassismus sowie den zentralen Bedarfen. Hierfür wurden 16 Interviews mit Expert*innen aus der rassismusbezogenen Beratungsarbeit sowie aus Verbänden geführt. Der örtliche Fokus lag im ersten Jahr auf dem Stadtstaat Berlin und dem Flächenland Sachsen, in denen das Beratungsangebot für von Rassismus betroffene Personen sehr unterschiedlich aufgestellt ist. Dies ermöglichte nicht nur den Vergleich zwischen einem Stadtstaat mit verhältnismäßig dichtem Beratungsangebot und einem ostdeutschen Flächenstaat, sondern auch zwischen verschiedenen rechtlichen Bedingungen, da das Berliner LADG deutschlandweit eine einmalige Präzedenz darstellt.
Bei dieser Bestandsaufnahme zeigte sich, dass eine Lücke besteht zwischen dem Anspruch, mit dem Recht und unterstützenden Beratungsstrukturen einen effektiven staatlich institutionalisierten Weg zur Bekämpfung von Rassismus zu schaffen einerseits und der Realität, mit denen die Betroffenen und die Beratungsstrukturen konfrontiert sind, andererseits. Übergreifend wurde von Problemen der Finanzierung (vor allem ihrer Kurzfristigkeit) und der Mängel an Personal, Räumlichkeiten und anderer Ressourcen berichtet. Zudem wurde ein komplexes Verhältnis zum Recht deutlich, in dem die Arbeit der Beratungsorganisationen immer auch in breitere politische Arbeit eingebettet ist.
4.6 Welche Bedeutung haben die Forschungsergebnisse für die Praxis?
Bei dieser ersten Bestandsaufnahme zeigte sich unter anderem, dass eine Lücke besteht zwischen dem Anspruch, mit dem Recht und unterstützenden Beratungsstrukturen einen effektiven staatlich institutionalisierten Weg zur Bekämpfung von Rassismus zu schaffen einerseits und der Realität, mit denen die Betroffenen und die Beratungsstrukturen konfrontiert sind, andererseits. Ein Aspekt dieser Diskrepanz zeigte sich dabei bezüglich der intersektionalen Einbettung von Rassismuserfahrungen: Obwohl z.B. in fast allen Interviews ein klares Bewusstsein sowohl für Mehrfachdiskriminierung als auch für die Relevanz intersektionaler Herangehensweisen deutlich wurde, wurde auch die Schwierigkeit für Beratungsstellen betont, eine intersektionale Perspektive auf Rassismus praktisch anzuwenden, da sich der bestehende Rechtsrahmen diesbezüglich als begrenzt zeigt.
Insgesamt führt der kleine rechtliche Spielraum sowohl im Kontext der spezialisierten Opferberatungsstellen als auch der AD-Beratung zu einer breiten Fokussierung auf Alternativen zum Rechtsweg. Dabei zeigte sich zugleich, dass von Rassismus betroffene Menschen sowohl innerhalb als auch außerhalb bestehender rechtlicher Strukturen zahlreiche Wege finden, um sich der Sprache und der Formen des Rechts zu bedienen, diese in Frage zu stellen und neu zu definieren und dadurch aktiv Widerstand gegen Rassismus zu leisten und auf Reformen hinzuwirken. Die konstatierte Ambivalenz des Rechts bildet den Ausgangs- und Fokuspunkt zukünftiger Forschung im Teilprojekt Recht im Zusammenspiel mit dem Teilprojekt Beratung.
Um die übergeordnete Frage nach den Möglichkeiten, sich institutionalisiert gegen Rassismus zu wehren, besser beantworten zu können, muss unter Berücksichtigung der bisherigen Ergebnisse die breitere gesellschaftspolitische Arbeit der Beratungsstrukturen besser in den Blick genommen werden. Dieser Aspekt soll daher im Jahr 2023 weiter vertieft werden. Dabei wird neben dem fortlaufenden Monitoring der Häufigkeit und Tiefe gerichtlicher Befassung mit Rassismus ein Schwerpunkt daraufgelegt, wie sich staatlich-institutionalisierte Rechtsauslegung und zivilgesellschaftlich gelebtes Recht einerseits voneinander unterscheiden und andererseits gegenseitig beeinflussen.
Kontakt
Wenn Sie Fragen zu dem Projekt haben oder Kontakt zu den Projektbeteiligten aufnehmen möchten, melden Sie sich gerne unter: rassismusmonitoring(at)dezim-institut.de