NaDiRa-Medienmonitor: Kontinuitäten und Wandel im Diskurs über Rassismus

Deutschland gilt als ein Land, das Rassismus eher zögerlich als ein generelles, strukturelles Problem benennt. Gleichzeitig erfuhren die rassistisch motivierten Mordanschläge in Halle und Hanau im Winter 2019/2020 und die anti-rassistischen Proteste der Black-Lives-Matter-Bewegung im folgenden Sommer eine beachtliche Medienresonanz. Wie fügt sich das in die Geschichte der medialen Debatte über Rassismus ein? 

Mit dem Medienmonitor analysieren wir, wie sich deutsche Medien im Zeitraum 1990 bis 2022 mit Rassismus auseinandergesetzt haben. Insbesondere arbeiten wir heraus, wie führende redaktionelle Medien in Deutschland über Rassismus berichten und welche Veränderungen es dabei über die Zeit gab. Unsere Ergebnisse sind Indikatoren für den Stellenwert des Themas Rassismus in der öffentlichen Debatte und für die Anerkennung von Rassismus als gesellschaftliches Problem. 

Leitende Forschungsfragen

  • Wie sichtbar ist das Thema Rassismus in den Medien im Zeitverlauf? 
  • Welche Akteure kamen und kommen in der Berichterstattung zu Wort? 
  • Was waren und sind dominante Konfliktlinien in der Debatte über Rassismus? 
  • Wie wird Rassismus in der Medienöffentlichkeit gedeutet und sind Verschiebungen im Framing erkennbar? 

„Seit 10 Jahren berichten Medien zunehmend über Rassismus und benennen ihn auch explizit. Aber er wird oft als Randphänomen gerahmt, statt ihn als gesamtgesellschaftliches Problem anzuerkennen.“ 

Dr. Sünje Paasch-Colberg, Verantwortliche für den NaDiRa-Medienmonitor 

Medien beeinflussen, als wie relevant Einzelpersonen und ganze Gesellschaften bestimmte Themen erachten und ob sie als lösungsbedürftiges Problem wahrgenommen werden („Agenda Setting“). Das gilt ganz besonders für neue oder langfristige Themen und für Themen, die für die meisten nicht direkt erfahrbar sind. Und die Forschung zeigt, dass die klassischen, redaktionellen Medien auch in Zeiten von Social Media und „hybriden“ Öffentlichkeiten weiterhin eine große Rolle spielen. 

Allerdings belegen zahlreiche Studienergebnisse, dass Medien nicht immer „objektiv“, sondern oft auch verzerrt über bestimmte Themen berichten. Häufig sind vor allem die Themendeutungen mächtiger Akteure sichtbar, manchmal kommen kleinere Akteure und ihre alternativen Deutungen gar nicht zu Wort. Außerdem können bestimmte Schlüsselereignisse langfristig beeinflussen, wie über ein Thema berichtet wird. 

Schließlich spielen Medien eine große Rolle dabei, ein bestimmtes „Framing“ von Themen zu etablieren: Sie präsentieren Definitionen, Ursachen, Lösungsmöglichkeiten und moralische Bewertungen von Themen. Bilden sich dominante „Frames“ zu bestimmten Themen heraus, sind andere Blickwinkel weniger oder gar nicht sichtbar. Gleichzeitig zeigen die Rassismusforschung und kritische Diskursanalysen, dass einer öffentlichen Thematisierung von Rassismus häufig mit Abwehr-Strategien begegnet wird.  

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie die Medien in Deutschland das Rassismus thematisieren und welche Deutungen sie (nicht) anbieten.

Bisher liegt keine aktuelle Untersuchung dazu vor, wie sichtbar das Thema Rassismus in der deutschen Medienberichterstattung ist, wie sich die mediale Aufmerksamkeit über die Zeit entwickelt hat und welche Ereignisse die mediale Karriere des Themas prägen.  

Die wenigen existierenden Studien liegen entweder lange zurück (z. B. Krause und Fretwurst 2007, die Daten aus dem Jahr 1994 auswerten; Esser et al. 2002; Brosius und Eps 1995) oder nehmen vergleichsweise kurze Zeiträume in den Blick (z. B. Milman et al. 2021).  

Eine weitere Forschungslücke gibt es bezüglich des Medien-Framings von Rassismus. Die wenigen existierenden Studien für Deutschland beziehen sich auf die 1990er Jahre (Scheufele und Brosius 1999). Das gilt auch für die Untersuchung von diskursiver Abwehr im medialen Diskurs über Rassismus; die existierenden Studien liegen entweder schon mehrere Jahrzehnte zurück (van Djik 1992) oder beziehen sich nicht auf Deutschland (Faulkner und Bliuc 2016; Pantti et al. 2019). 

Ziel des Projekts ist es, Muster der Medienberichterstattung über Rassismus zu beschreiben und etwaige Entwicklungen nachzuzeichnen. Besonderes Augenmerk gilt dabei der medialen Aufmerksamkeit für Rassismus. Ergebnisse hierzu liefern Hinweise darauf, in welchem Ausmaß Rassismus zu einem bestimmten Zeitpunkt als gesellschaftliches Problem anerkannt wird. 

Dabei ist auch von Interesse, welche Ereignisse und Akteure es im Zeitverlauf vermocht haben, die Aufmerksamkeit für Rassismus zu verändern und die Karriere des Themas zu beeinflussen. Hier stellt sich zum Beispiel die Frage, ob eine gestiegene mediale Aufmerksamkeit für Rassismus vor allem eine Folge von eindeutigen Manifestationen von Rassismus ist – ob also rassistisch motivierte Gewalttaten zu einer intensiveren Berichterstattung führen. 

Die Analyse der Konfliktlinien und dominanten Deutung von Rassismus („Frames“) liefern Hinweise darauf, welche Verständnisse, Aspekte und Dimensionen von Rassismus die öffentliche Debatte zu einem bestimmten Zeitpunkt dominieren und damit vermutlich auch die Vorstellungen individueller Mediennutzender prägen. Dabei ist auch relevant zu untersuchen, welche Dimensionen von Rassismus nicht dominant thematisiert werden.

Das Projekt arbeitet mit einem Mehrmethoden-Design und zwei unterschiedlichen methodischen Zugängen: Erstens werden Muster der medialen Debatte im Zeitverlauf mithilfe automatisierter bzw. computergestützter Methoden textanalytischer Sozial- und Sprachwissenschaft identifiziert. Diese werden, zweitens, um Tiefenanalysen ergänzt, die auf einer manuellen Inhaltsanalyse ausgewählter Zeitungsartikel basieren. Mithilfe der manuellen Inhaltsanalyse werden Problemdefinitionen von Rassismus, Ursachen- und Verantwortungszuschreibungen sowie geforderte Maßnahmen (sog. Frame-Elemente) in den Artikeln identifiziert und beschrieben.

Zur Durchführung beider Analysen wurden Textsammlungen (sog. Korpora) für drei ausgewählte deutsche Tageszeitungen erstellt, die die Rassismus-relevante Berichterstattung abbilden. Mit der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung berücksichtigt das Sample zwei deutschen Leitmedien unterschiedlicher politischer Linie. Zusätzlich untersucht wird die tageszeitung (taz), die im deutschen Mediensystem als alternativer Agenda Setter gilt. 

Die erstellten Korpora umfassen alle Artikel der drei Zeitungen, die im Untersuchungszeitraum Januar 1990 bis Juni 2022 mindestens einen für das Thema Rassismus relevanten Schlüsselbegriff erwähnen, als Volltext. Aufgrund der systematischen Datenerfassung über die Zeit und eine kontinuierliche Nacherfassung der Berichterstattung mit Rassismus-Bezug für folgende Projektzeiträume ist das Monitoring in diesem Teilprojekt wiederkehrend.

Erste Ergebnisse zeigen, dass Rassismus im Vergleich zu verwandten Themen wie Migration/Integration oder Rechtsextremismus in den untersuchten Medien deutlich weniger Aufmerksamkeit bekommt. Allerdings gab es im untersuchten Zeitraum von 1990 bis 2022 immer wieder Ereignisse, die das Thema Rassismus kurzfristig hoch auf die mediale Agenda geschoben haben. Hierzu zählen die Brandanschläge in Rostock-Lichtenhagen und Solingen, die auch damals häufig schon als „rassistisch“ benannt und thematisiert wurden. In der jüngeren Zeit sorgten die Anschläge in Halle und Hanau sowie die Black-Lives-Matter-Proteste dafür, dass die mediale Aufmerksamkeit für Rassismus in Deutschland stieg.  

Neben diesen eher kurzfristigen Peaks in der Berichterstattung verweist unser Langzeit-Monitoring zudem auf einen kontinuierlichen Aufmerksamkeitszuwachs auf einem niedrigeren Niveau, der etwa ab dem Jahr 2011 einsetzt und im Zusammenhang mit der Selbstenttarnung des NSU stehen könnte. Seitdem scheint sich auch die öffentliche Deutung von Rassismus verändert zu haben: So wird beispielsweise institutioneller bzw. struktureller Rassismus seit 2011 häufiger benannt als davor.

Die Ergebnisse der Medienanalysen können dabei helfen, aktuelle Debatten um Rassismus historisch einzuordnen. Sie liefern Hinweise auf Veränderungen in den journalistischen Auswahlentscheidungen und sind damit auch für Medienschaffende selbst relevant.

Das Projekt läuft seit November 2021 und wird in Kooperation mit Prof. Dr. Andreas Blätte und dem Interdisziplinären Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (InZentIM) an der Universität Duisburg-Essen durchgeführt. 

Framing: Medien-Framing wird empirisch intensiv untersucht. Zentrale Annahme des Framing-Ansatzes ist, dass bestimmte Aspekte und Positionen in der Berichterstattung über ein Thema betont und zu einem konsistenten Rahmen (Frame) zusammengefügt werden. Ein vollständiger Frame legt eine bestimmte Problemdefinition nahe, macht Ursachen für ein Problem aus, nennt Lösungsmöglichkeiten und bietet moralische Bewertungen an. Wenn sich in der Berichterstattung über ein Thema ein dominanter Frame herausbildet, werden andere Blickwinkel weniger sichtbar oder gänzlich unsichtbar. Einige Studien zum Framing von Muslim*innen und Migrant*innen im deutschen Sprachraum zeigen, dass diese oft negativ als „kalt“, „kriminell“ oder „kostenintensiv“ geframt werden – und bieten damit eine Grundlage für Medienkritik. 

Forschungsstrategien und Methoden

Weitere Forschung

Ansprechpartner*innen

Dr. Sünje Paasch-Colberg

Dr. Sünje Paasch-Colberg

Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Abt. Konsens und Konflikt &
Nationaler Diskriminierungs- und Rassismusmonitor

Ausgewählte Literatur

  • Brosius, Hans-Bernd; Eps, Peter (1995): Prototyping through Key Events. In: European Journal of Communication 10 (3), S. 391–412. DOI: 10.1177/0267323195010003005. 

  • Esser, Frank; Scheufele, Bertram; Brosius, Hans-Bernd (2002): Fremdenfeindlichkeit als Medienthema und Medienwirkung. Deutschland im internationalen Scheinwerferlicht. 1. Aufl. Wiesbaden: Westdt. Verl. 

  • Faulkner, Nicholas; Bliuc, Ana-Maria (2016): ‘It’s okay to be racist’: moral disengagement in online discussions of racist incidents in Australia. In: Ethnic and Racial Studies 39 (14), S. 2545–2563. DOI: 10.1080/01419870.2016.1171370. 

  • Tim Henrichsen, Florian Gilberg, Andreas Blätte, Moritz Sommer, Elias Steinhilper und Sabrina Zajak: Die Politisierung von Rassismus in Deutschland. Eine quantitative Inhaltsanalyse der Süddeutschen Zeitung und Frankfurter Allgemeinen Zeitung zwischen 2000 und 2020. DeZIM Working Papers.  

  • Krause, Birgit; Fretwurst, Benjamin (2007): Kurzfristige Agenda-Setting-Effekte von Fernsehnachrichten Eine Zeitreihenanalyse am Beispiel Ausländerfeindlichkeit und Rechtsradikalismus. In: Fortschritte der politischen Kommunikationsforschung: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 171–196. Online verfügbar unter https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-531-90534-1_8

  • Milman, Noa; Ajayi, Folashade; Della Porta, Donatella; Doerr, Nicole; Kocyba, Piotr; Lavizzari, Anna (2021): Black Lives Matter in Europe Transnational Diffusion, Local Translation and Resonance of Anti-Racist Protest in Germany, Italy, Denmark and Poland. In: DeZIM Research Notes, 02.07.2021, S. 1–40. 

  • Pantti, Mervi; Nelimarkka, Matti; Nikunen, Kaarina; Titley, Gavan (2019): The meanings of racism: Public discourses about racism in Finnish news media and online discussion forums. In: European Journal of Communication 34 (5), S. 503–519. DOI: 10.1177/0267323119874253. 

  • Scheufele, Bertram; Brosius, Hans-Bernd (1999): The frame remains the same? Stabilität und Kontinuität journalistischer Selektionskriterien am Beispiel der Berichterstattung über Anschläge auf Ausländer und Asylbewerber. 

  • van Dijk, Teun A. (1992): Discourse and the Denial of Racism. In: Discourse & Society 3 (1), S. 87–118. DOI: 10.1177/0957926592003001005.