Recht und Rassismus

Erst in den letzten Jahren hat sich in der deutschen Rechtswissenschaft ein Forschungsstrang entwickelt, der sich explizit mit Recht und Rassismus auseinandersetzt. Entsprechend überschaubar sind die wissenschaftlichen Beiträge in diesem Bereich. Unterscheiden lassen sich erstens Überblickswerke, die das sich entwickelnde Forschungsgebiet “Recht und Rassismus” in seiner Breite umreißen, zweitens Beiträge, die sich einzelnen Diskriminierungsverboten und deren Auslegung widmen, drittens wissenschaftliche Stellungnahmen zu einzelnen viel diskutierten Themen, viertens Beiträge zum normübergreifenden Antidiskriminierungsrecht und fünftens Arbeiten, die sich mit strukturell und institutionell verankerter Diskriminierung im Rechtssystem selbst auseinandersetzen. 

Im Projekt Recht geht es im Rahmen des skizzierten Forschungsstranges daher um die Betrachtung der (offiziell) institutionalisierten Möglichkeiten, die von Rassismus betroffene Personen haben, um sich gegen Rassismus zur Wehr zu setzen.

Leitende Forschungsfragen

  • Wie setzen sich Gerichte mit dem Thema Rassismus (über alle Rechtsgebiete und Instanzen hinweg) auseinander? 
  • Wie gestalten sich die Verbindungen zwischen inhaltlicher Rechtsauslegung und –anwendung und strukturellen Zugangshürden zum Recht? 
  • Wie lassen sich die Forschungsstränge zu rassistischer Diskriminierung und deren Verbot im materiellen Recht einerseits und die zu institutioneller und struktureller Zugangshürden im Rechtssystem andererseits verbinden? 
  • Inwiefern kann die Auslegung des materiellen Rechts selbst eine Zugangshürde darstellen? 

Projektbeschreibung

Im Teilprojekt Recht steht die Untersuchung des juristischen Rahmens im Vordergrund, der über gesetzliche Grundlagen (wie bspw. Das GG oder das AGG) und deren richterliche Auslegung, die Möglichkeiten vonBetroffenen von Rassismus formell bestimmt.  

Dies soll durch die Analyse von Urteilen zu Fällen, in denen Rassismus verhandelt wurde in juristischen Datenbanken, insbesondere juris, geleistet werden. Im Anschluss erfolgt eine Auswertung der Urteile mittels dogmatischer Rekonstruktion, Methoden der kritischen Analyse des Rechts, und normativ anhand der Beratungsperspektive.  

In der ersten Phase (2021/2022) lag der Fokus im Projekt “Recht” darauf, systematisch die relevanten Rechtsnormen in ihrer Auslegung durch deutsche Gerichte zu erfassen. Die juristische Fallanalyse konzentrierte sich darauf zu klären, welche Definitionen von Rassismus und rassistischer Diskriminierung deutsche Gerichte in ihrer Urteilspraxis zugrunde legen und wie sich diese zu europarechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben verhalten.

Was bislang in der Forschung zu Recht und Rassismus fehlt ist eine systematische Auseinandersetzung mit in der Rechtsprechung vorherrschenden Rassismusverständnissen, die sich nicht nur auf einzelne Normen konzentriert, sondern über alle Rechtsgebiete und Instanzen hinweg erforscht, wie sich Gerichte mit dem Thema Rassismus auseinandersetzen. Aus diesem Grund erfolgt im Teilprojekt Recht ein umfassendes Rechtsprechungsmonitoring. 
 
Es fehlt zudem eine Verbindung zwischen der Forschung, die sich mit rassistischer Diskriminierung und deren Verbot im materiellen Recht befasst, auf der einen Seite, und der Forschung, die institutionelle und strukturelle Zugangshürden im Rechtssystem selbst erforscht. Gerade das überaus spannende Projekt Zugang zum Recht am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB), mit dem innerhalb der DeZIM-Forschungsgemeinschaft, zu der das WZB gehört, eine Kooperation angestrebt wird, untersucht insbesondere finanzielle Zugangshürden. Inwiefern die Auslegung des materiellen Rechts selbst eine Zugangshürde darstellen kann, wird dagegen nicht erforscht. Aus diesem Grund werden die Ergebnisse des Rechtsprechungsmonitorings gemeinsam mit dem Teilprojekt Beratung ausgewertet, um mithilfe des aus der Praxis gewonnenen Wissens der Akteur*innen im Beratungsfeld die Verbindungen aufzuzeigen zwischen inhaltlicher Rechtsauslegung und -anwendung einerseits und strukturellen Zugangshürden zum Recht andererseits.

  • Analyse der (offiziell) institutionalisierten Möglichkeiten, die von Rassismus betroffene Personen haben, um sich gegen Rassismus - insbesondere über den Rechtsweg - zur Wehr zu setzen. 
  • Prüfung, welche Formen von Rassismus hierbei unberücksichtigt bleiben 

  • Identifizieren von strukturellen Hürden für von Rassismus Betroffene, sich auf institutionellem Wege zur Wehr zu setzen

Das Teilprojekt Recht konzentriert sich darauf, juristische Datenbanken, insbesondere juris, nach Urteilen zu Fällen zu durchsuchen, in denen Rassismus verhandelt wurde, und diese Urteile mittels dogmatischer Rekonstruktion, Methoden der kritischen Analyse des Rechts, und normativ anhand der Beratungsperspektive auszuwerten.  

Mittels einer Stichwortsuche innerhalb einer alle Rechtsgebiete, Gerichtsbarkeiten und Instanzen umfassenden Datenbank werden Urteile herausgefiltert, die für die Forschungsfrage relevant sind. Diese werden dogmatisch rekonstruiert, das heißt rechtsimmanent anhand der gängigen juristischen Auslegungsmethoden (Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte, Telos) der juristischen Eigenlogik folgend in bestehende rechtswissenschaftliche und rechtspraktische Diskurse eingeordnet. Ergänzt wird die Methode der dogmatischen Rekonstruktion durch verschiedene Methoden der kritischen Analyse des Rechts. Letztere geht zurück auf die von Dekonstruktion und kritischer Diskursanalyse geprägte Critical Legal Studies Bewegung, aus der heraus sich auch verschiedene Stränge der Critical Race Theory herausgebildet haben. Gemeinsam ist den Methoden der kritischen Analyse des Rechts, die im Teilprojekt “Recht” zur Anwendung kommen, dass jenseits der juristischen Eigenlogik der in den Urteilen enthaltenen Argumente danach gefragt wird, welche Argumentationsmuster sich ergeben, auf welche Weise diese Muster Widersprüche produzieren und reproduzieren und auf welchen unausgesprochenen Annahmen verbreitete Argumentationsmuster beruhen. Normativ evaluiert werden die so analysierten juristischen Argumentationsmuster anhand der in rassismuskritischer Beratungsarbeit entwickelten Perspektiven und Lernprozesse, die im Teilprojekt “Beratungsstrukturen” nachgezeichnet und erforscht werden.  

Die Ergebnisse aus beiden Teilmodulen werden in einem zweiten Schritt in Zusammenarbeit trianguliert und im Rahmen von Fokusgruppen vertieft ausgewertet und erweitert. In den Fokusgruppen kommen daher Expert*innen verschiedener Arbeitsfelder – sowohl aus der Justiz als auch zivilgesellschaftlicher Beratungsakteur*nnen – zusammen, um die Ergebnisse zu diskutieren und politische Konsequenzen zu erörtern.

Bisher ging es zunächst um die systematische Bestandsaufnahme der relevanten Rechtsnormen und des Beratungsfeldes.  

Durch die juristische Fallanalyse, die sich darauf konzentrierte, zu klären, welche Definitionen von Rassismus und rassistischer Diskriminierung deutsche Gerichte in ihrer Urteilspraxis zugrunde legen und wie sich diese zu europarechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben verhalten, konnte mit Hilfe einer systematischen Datenbankrecherche untermauert werden, was in der rassismuskritischen rechtswissenschaftlichen Forschung bereits anhand von einzelnen Beispielen aus der Rechtsprechung und anhand von begriffshistorischer Forschung konstatiert wird: 
Das Rassismusverständnis deutscher Gerichte ist stark von einer Gleichsetzung mit Rechtsextremismus und Nationalsozialismus geprägt und es wird in der Regel davon ausgegangen, dass  Rassismus intentionales Handeln erfordere. Zudem konnte gezeigt werden, dass die Praxis deutscher Gerichte häufig auf biologistische Vorstellungen von “Rasse” zurückgreift und dass Betroffene, die sich gegen rassistische Diskriminierung wehren oder diese auch nur benennen, Sanktionen wie den Verlust des Arbeitsplatzes oder Strafverfahren wegen Beleidigung befürchten müssen. Flankiert wurden diese Befunde durch eine kritische Analyse der Argumentationsfigur des “objektiven Dritten” oder “objektiven Beobachters” (González Hauck 2022). Mit dieser Argumentationsfigur, so das Ergebnis der auf kritischer Weißseinsforschung (Eggers et al 2020) und (Schwarzer) feministischer Epistemologie (Collins 1999; Harding 1992; Haraway 1988) basierenden Analyse, werden rassismuserfahrene Perspektiven im deutschen Rechtssystem systematisch abgewertet.

Welche Bedeutung haben die Forschungsergebnisse für die Praxis? 

Bei der ersten Bestandsaufnahme zeigte sich, dass eine Lücke besteht zwischen dem Anspruch, mit dem Recht und unterstützenden Beratungsstrukturen einen effektiven staatlich institutionalisierten Weg zur Bekämpfung von Rassismus zu schaffen einerseits und der Realität, mit denen die Betroffenen und die Beratungsstrukturen konfrontiert sind, andererseits.   

In der Zusammenführung der beiden Teilmodule zeigte sich deutlich, wie juristische Sprache taktisch und strategisch genutzt wird und welche Unterschiede im gelebten Recht sich in zeitlicher und örtlicher Hinsicht beobachten lassen. In Bezug auf Beratungsstrukturen zeigte sich hierbei zudem ein komplexes Verhältnis zum Recht, in dem die Arbeit der Beratungsorganisationen immer auch in breitere politische Arbeit eingebettet ist. Dieser Aspekt soll im Jahr 2023 weiter vertieft werden. 

Das Projekt läuft seit Oktober 2021. 

Forschungsstrategien und Methoden

Weitere Forschung

Kontakt

Wenn Sie Fragen zu dem Projekt haben oder Kontakt zu den Projektbeteiligten aufnehmen möchten, melden Sie sich gerne unter: rassismusmonitoring(at)dezim-institut.de