Grenzen der Gleichheit: Rassismus und Armutsgefährdung

Kurzbericht des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors mit dem Schwerpunkt Armut

Welche Bedeutung hat Rassismus für das Armutsrisiko? Der vorliegende NaDiRa-Kurzbericht ermöglicht erstmals im deutschen Kontext die Untersuchung der Armutsgefährdung von drei rassistisch markierten Gruppen – asiatischen, muslimischen und Schwarzen Menschen.

Pressekontakt: Angie Pohlers presse(at)dezim-institut.de; 030-200754-130

„Um das erhöhte Armutsrisiko rassistisch markierter Menschen zu verringern, müssen rassistische Strukturen und Diskriminierungen in verschiedenen Bereichen abgebaut werden. Bildung und Arbeit muss sich für alle gleichermaßen lohnen.“

Prof. Dr. Zerrin Salikutluk, Leiterin des Nationalen Diskriminierungs-& Rassismusmonitors

Die Studie

Die Aufgabe des NaDiRa ist es, Ursachen, Ausmaß und Folgen von Diskriminierung und Rassismus systematisch zu untersuchen. Daher lautet die Frage: Wer ist besonders von Armut gefährdet?

Von Januar bis März 2022 erfassten die Wissenschaftler*innen im Rahmen einer repräsentativen Befragung (NaDiRa.panel) die Daten von 21.000 Personen, um Einstellungen und Erfahrungen von Menschen in Deutschland zu untersuchen.

Der vorliegende Kurzbericht nutzt die Selbstidentifikation der Befragten als Kategorisierungsgrundlage, so dass in den Analysen zwischen rassistisch markierten und nicht rassistisch markierten Personen unterschieden werden kann.

Die Analysen decken auf, inwiefern ein Armutsrisiko mit soziodemografischen Faktoren und der Lebenssituation von diesen Gruppen zusammenhängt. Die NaDiRa-Daten ergänzen die Armutsforschung um eine rassismuskritische Perspektive, indem sie zeigen: Eine Differenzierung allein nach Migrationshintergrund reicht nicht aus. Um eine gerechtere Teilhabe aller Gruppen zu gewährleisten, müssen Ausgrenzungen aufgrund von Merkmalen, wie Geschlecht, Hautfarbe, Sprache und Religion berücksichtigt werden.

„In Deutschland fehlt bislang eine quantitative Analyse zur Rolle von Rassismus beim Armutsrisiko. Der Rassismusmonitor deckt auf: trotz Vollzeitarbeit sind jeder fünfte muslimische Mann, jede fünfte asiatische Frau und jede fünfte Schwarze Frau in Deutschland von Armut bedroht.

Prof. Dr. Frank Kalter, Direktor des DeZIM-Instituts

Ja. Rassistisch markierte Menschen haben ein höheres Armutsrisiko als nicht rassistisch markierte Menschen: Schwarze, asiatische und muslimische Menschen sind in Deutschland einer höheren Armutsgefährdung ausgesetzt als Deutsche ohne Migrationshintergrund. Während die Armutsgefährdungsquote bei nicht rassistisch markierten Männern bei 9 % bzw. bei Frauen bei 10 % liegt,  trifft dies bei 26 % der Schwarzen Männer und Frauen, bei 30 % bzw. 26 % der asiatischen Männer und Frauen sowie bei 41 % bzw. 38 % der muslimischen Männer und Frauen zu. 

Ja. Aber hohe Bildung und eine Erwerbstätigkeit schützen rassistisch markierte Menschen nicht gleichermaßen vor Armutsgefährdung: Höhere Bildungsabschlüsse und eine Vollzeit- oder Teilzeiterwerbstätigkeit senken in der Regel das Armutsrisiko, bieten jedoch keinen vollständigen Schutz davor, vor allem nicht bei rassistisch markierten Menschen.

Die Gefahr, trotz Vollzeiterwerbstätigkeit unter der Armutsgrenze zu leben, ist bei Schwarzen Frauen (22 %), muslimischen Männern (21 %) und asiatischen Männern (19 %) und asiatischen Frauen (19%) etwa viermal höher als bei nicht rassistisch markierten Männern und Frauen (5 %).

Der Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft kann das Armutsrisiko senken: Dieser Zusammenhang lässt sich in allen Gruppen feststellen, wobei er sich besonders bei Schwarzen Frauen sowie bei Schwarzen und asiatischen Männern herauskristallisiert. Die Befunde des Berichts deuten darauf hin, dass die Staatsangehörigkeit für institutionelle Zugänge eine Rolle spielt, die wiederum ein wesentlicher Faktor für die Armutsgefährdung darstellen.

Wer ist besonders von Armut gefährdet?

Um die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit anzugeben, dass die untersuchten Gruppen als armutsgefährdet gelten, sind die nachfolgenden Analysen durchgeführt worden. Dafür erfolgte die Berechnung dreier Modelle, die zeigen, wie sich das Risiko der Armutsgefährdung für verschiedene Gruppen verändert, wenn unterschiedliche Faktoren in die Berechnungen aufgenommen werden.

  • Modell 1 stellt das unbereinigte Armutsrisiko dar. D.h. es werden keine weiteren Faktoren als die Gruppenzugehörigkeit und das Geschlecht berücksichtigt.
  • Modell 2 nimmt soziodemografische Merkmale – das Alter, das Alter im Quadrat, der Familienstand, die Kinderanzahl, der Bildungsstand sowie die Region (West-/Ostdeutschland) – in die Analysen auf. 
  • In Modell 3 wird zusätzlich der Erwerbsstatus eingeschlossen, der beispielsweise zwischen Personen unterscheidet, die vollzeiterwerbstätig, in einer Ausbildung oder in Rente sind. 

Analysen und Auswertungen

Die Zahlen zeigen, dass soziodemografische und erwerbsbezogene Merkmale das Armutsrisiko für verschiedene Gruppen unterschiedlich beeinflussen. Dennoch sind rassistisch markierte Männer und Frauen einem höheren Armutsrisiko als nicht rassistisch markierte Männer und Frauen ausgesetzt, auch nach Berücksichtigung dieser Faktoren.  

Im Gruppenvergleich zeigen Männer u.a. folgende Befunde:

  • Nicht rassistisch markierte Männer (9 %) haben im Durchschnitt das niedrigste Armutsrisiko.
  • Das höchste Armutsrisiko findet sich bei muslimischen Männern (Im Modell 1 liegt die Armutsgefährdungsquote bei 41 % – sie betrifft also deutlich mehr als jeden dritten muslimischen Mann.)

Im Gruppenvergleich zeigen Frauen u.a. folgende Befunde:

  • Mit 38 % ist die unbereinigte Armutsquote (Modell 1) bei Musliminnen am höchsten.
  • Im Gegensatz zu den Männern reduziert sich die Gefahr, unter der Armutsschwelle zu leben, bei Frauen, sobald die Quote um die Soziodemografie (Modell 2) und den Erwerbsstatus (Modell 3) bereinigt werden.

 

In Abbildung 2 sind nur Vollzeiterwerbstätige nach Gruppenzugehörigkeit und Geschlecht unter Berücksichtigung der soziodemografischen Merkmale dargestellt. 

Verglichen mit Abbildung 1 fällt bei den Vollzeiterwerbstätigen die Wahrscheinlichkeit, unter der Armutsschwelle zu leben, in allen Gruppen geringer aus. Es sind jedoch weiterhin deutliche Unterschiede zwischen rassistisch markierten Personen und Deutschen ohne Migrationshintergrund erkennbar. 

Unterschiede zwischen rassistisch markierten Personen und Deutschen ohne Migratioshintergrund :

  • Die Differenz zwischen deutschen Männern und Fauen ohne Migrationshintergrund (je 5 %)  zu muslimischen Männern (21 %) und Schwarzen Fraune (22 %) ist am höchsten: Mehr als 15 Prozentpunkte.

Abbildung 3 fokussiert auf Personen, die eine tertiäre Ausbildung abgeschlossen haben. Die Gruppe umfasst Menschen, die eine Meisterausbildung, Bachelor- oder Masterabschluss oder Promotion absolviert haben. In dieser spezifischen Personengruppe ist die Armutsgefährdung niedriger als in der Gesamtbetrachtung (Abbildung 1).  

Der Faktor Bildung ist ein wichtiger Schutz vor Armutsgefährdung. Die Bildungsrenditen unterscheiden sich jedoch auch hier eklatant für die betrachteten Gruppen. Rassistisch markierte Menschen haben auch bei hohen Bildungsabschlüssen ein deutlich höheres Armutsrisiko als nicht rassistisch markierte Männer und Frauen. 

 

Unterschiede zwischen rassistisch markierten Menschen und Deutschen ohne Migrationshintergrund:

  • Nicht rassistisch markierte Frauen (4 %) und Frauen mit Migrationshintergrund (7 %) unterscheiden sich nicht statistisch signifikant von der Gruppe nicht rassistisch markierter Männer (6 %).
  • Erneut sticht hierbei das hohe Armutsrisiko bei muslimischen Männern (33 %) und Frauen (21 %) hervor.
  •  Auch bei asiatischen (18 %) und Schwarzen Männern (15 %) ist ein Leben unter der Armutsgefährdung deutlich wahrscheinlicher.   

Abbildung 4 erlaubt den Vergleich zwischen zwei Gruppen: Migrant*innen, die ihren Abschluss im Ausland erworben haben und rassistisch markierte Menschen, die in Deutschland geboren sind und die ihren Abschluss in Deutschland erworben haben.  Dabei können Bildungsrenditen von Migrant*innen niedriger sein bei im Ausland erworbenen Abschlüssen oder mangelnden Deutschkenntnissen. Im Generationsverlauf nimmt die Armutsgefährdung von Familien mit Einwanderungsgeschichte zwar ab, aber Bildungsrenditen zeigen geringere Auswirkungen für nachfolgende Generationen mit Migrationshintergrund.

Im Gruppenvergleich zeigen sich u.a. folgende Ergebnisse für Männer:

  • Bei muslimischen Männern sinkt das Armutsrisiko um ein Drittel (47 % zu 31 %).
  • Bei asiatischen Männern sinkt das Armutsrisiko etwa um die Hälfte (44 % zu 20 %).
  • Bei Schwarzen Männern sinkt das Armutsrisiko fast um zwei Drittel (37 % zu 14 %).

Im Gruppenvergleich zeigen sich u.a. folgende Befunde für Frauen:

  • Der stärkste Rückgang lässt sich bei Schwarzen Frauen finden: In dieser Gruppe reduziert sich das Armutsrisiko von 33 % auf 5 %

Ähnliche Rückschlüsse lassen sich auch in Bezug auf die Staatsangehörigkeit ziehen (Abbildung 5). Die deutsche Staatsbürgerschaft senkt das Armutsrisiko in allen untersuchten Gruppen. Besondere Bedeutung bei muslimischer Gruppe: Staatsangehörigkeit sind eng mit institutionellen Zugang zu Arbeitsmarkt, Wohnungsmarkt und sozialen Sicherungssystemen verknüpft. Dabei besteht etwa ein Fünftel der muslimischen Gruppe  höchstwahrscheinlich aus Geflüchteten, die seit 2013 nach Deutschland migriert sind.

Armutsgefährdung sinkt bei folgenden Gruppen:

  • Für Schwarze Männer verringert sich das Armutsrisiko von 37 % zu 18 %.
  • Für asiatische Männer verringert sich das Armutsrisiko von 45 % zu 22 %.
  • Für muslimische Frauen verringert sich das Armutsrisiko von 36 % zu 21 %.
  • Für muslimische Männer verringer sich das Armutsrisiko von 47 % zu 31 %.

Einschränkungen der Datenerhebung

Die Armutsgefährdungsquote der NaDiRa.panel-Daten ist nicht direkt vergleichbar mit den Werten des Statistischen Bundesamts aus zwei Gründen:

  • Das NaDiRa.panel umfasst Personen im Alter von 18 bis 70 Jahren, was dazu führt, dass ältere Personen ab 71 Jahren nicht einbezogen werden. Das Statistische Bundesamt verzeichnet bei Personen ab 65 Jahren eine deutlich höhere Armutsgefährdungsquote von 18,3 %. Daher erscheint die Armutsgefährdung in diesem Bericht im Vergleich zur Gesamtbevölkerung niedriger.
  • Die Einkommensabfrage im NaDiRa.panel wurde offen gehalten, ohne anzugeben, ob erhaltene Sozialleistungen zum Haushaltseinkommen gezählt werden sollen. Daher ist bei der Interpretation der Ergebnisse unklar, ob die berichteten Befunde vor oder nach Berücksichtigung von Sozialtransfers als Armutsgefährdung zu verstehen sind.

Trotz dieser Einschränkungen bieten die NaDiRa-Daten eine wichtige Ergänzung zu den bestehenden Armutsrisiken in der Bevölkerung. Die bisherige Berichterstattung zur Armutsgefährdung vernachlässigt einen spezifischen Blick auf rassistisch markierte Mensche

Rassismus, Armutsgefährdung und Gesundheit

Auch interessant: Arbeitsfähigkeit hängt wesentlich auch vom Gesundheitszustand ab. Der letzte Bericht des NaDiRa hat aufgedeckt, dass rassistisch markierte Menschen beim Zugang zur Gesundheitsversorgung in Deutschland (rassistisch) diskriminiert werden (DeZIM 2023). 

Handlungsempfehlungen

Die Ergebnisse zeigen, dass der Einbezug einer rassismuskritischen Perspektive bei der Untersuchung von Armutsgefährdung wesentlich erscheint und die Unterscheidung nach Einwanderungsgeschichte dagegen unzureichend ist.   

Dadurch unterstreichen die Ergebnisse die Notwendigkeit gezielter Maßnahmen zur Armutsbekämpfung. Insbesondere die Förderung der Chancengleichheit für benachteiligte Gruppen.

  • Abbau rassistischer Strukturen und Diskriminierung in Bildung, Arbeit, Gesundheit und Wohnungsmarkt erforderlich.
  • Existenzsichernde Arbeitsplätze durch Arbeitsmarktpolitik fördern.
  • Anerkennung aller im Ausland erworbenen Bildungs- und Berufsqualifikationen.
  • Förderung von Bildungs- und Berufsqualifikationen für alle Personen.