Zwischen Anerkennung und Abwehr:
(De-)Thematisierungen von Rassismus in Medien, Recht und Beratung
Fokusbericht des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors mit den Schwerpunkten Diskurs & Medien, Recht & Beratung
Wie wird Rassismus in drei gesellschaftlichen Teilbereichen – Medien, Recht und in den Beratungsstrukturen – thematisiert und ausgehandelt? Ausgangspunkt für die Analysen ist die zunehmende gesellschaftliche, politische Anerkennung mit Rassismus, die zugleich Mechanismen der Abwehr offenbaren. Der Fokusbericht zeigt und untersucht die Gleichzeitigkeit dieser gegensätzlich scheinenden Tendenzen.
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Pressekontakt: Angie Pohlers presse(at)dezim-institut.de; 030-200754-130
Die Studie
Die Aufgabe des NaDiRa ist es, Ursachen, Ausmaß und Folgen von Diskriminierung und Rassismus systematisch zu untersuchen. Der Bericht zeigt mithilfe verschiedener Forschungszugänge und Methoden, inwiefern die Gleichzeitigkeit der Anerkennung und der Abwehr gegenüber dem Phänomen Rassismus in den drei Teilbereichen – Medien, Recht und Beratung– gegeben ist.
Die Medienanalyse untersucht die Muster der Rassismusberichterstattung deutscher Tageszeitungen (der Süddeutschen Zeitung, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der taz von Januar 1990 bis Dezember 2021). Zusätzlich wird eine qualitative Inhaltsanalyse der SZ-Berichterstattung zu vier rassistisch motivierten Gewalttaten (Rostock-Lichtenhagen, Solingen, NSU-Selbstaufdeckung und Hanau) durchgeführt.
Für die Analyse des Rechtssystems und der Beratungsstrukturen wurden die beiden Felder zusammen betrachtet. Dadurch wird eine innovative Forschungsperspektive eingenommen, die die Auslegung des Rechts in seinem gesellschaftlichen Kontext analysiert. Hierfür werden gerichtliche Entscheidungen verschiedener Instanzen und Gerichtsbarkeiten ausgewertet. Außerdem wird das Rassismusberatungsfeld in den Blick genommen.
Zentrale Ergebnisse
Die Ergebnisse zeigen, dass in allen drei gesellschaftlichen Bereichen Rassismus zunehmend thematisiert wird. Dabei bleiben zentrale Herausforderungen, die u.a. durch einen eingeschränkten Rassismusbegriff bedingt sind, bestehen.
Die zunehmende Thematisierung und explizite Benennung von Rassismus zeigen eine wachsende Sensibilisierung der Medienschaffenden für das Thema.
Der Fokus der Berichterstattung liegt tendenziell bei:
- Aufmerksamkeitserregende Ereignisse wie rassistische Gewalt und Proteste
- Fokussierung und Pathologisierung von individuellen Täter*innen
- Darstellung vereinzelter Betroffenheitsperspektiven
Rassismus wird in den Medien häufig als rechtsextremes Randphänomen gerahmt, statt als strukturelle, gesamtgesellschaftliche Herausforderung.
Ja, es gibt Rechtsnormen, die Rassismus explizit und implizit thematisieren und sanktionieren.
Dennoch gibt es Herausforderungen bei der Anwendung der Rechtsnormen:
- Eingeschränktes Rassimusverständnis
- Dethematisierung von Rassismus in der Rechtsprechung
- Gerichte betrachten Rassismus oft als Randphänomen oder individuelles Fehlverhalten
Es gibt eine Beratungslandschaft, die sich an von Rassismus betroffene Personen in Deutschland richtet. Dabei stehen diese vor folgenden Herausforderungen:
- Unsichere Finanzierungsmöglichkeiten, prekäre Arbeitsbedingungen
- Doppelbelastung von beratenden Akteur*innen, die selbst rassistisch markiert sind
Dem Bericht liegt ein breites Rassismusverständnis zugrunde:
- Rassismus wird dabei als Ideologie, diskursive und soziale Praxis sowie als Prozess verstanden. Menschen werden aufgrund vermeintlich biologischer oder kultureller Eigenschaften als wesensmäßig andersgeartet konstruiert und abgewertet.
- Rassismus ist ein gesellschaftsstrukturierendes Machtverhältnis, welches sich auf verschiedenen Ebenen und in vielerlei Form manifestiert.
- Rassismus ist eine soziale Herausforderung für die gesamte Gesellschaft und lässt sich nicht auf bestimmte gesellschaftliche Randgruppen oder einzelne (ideologisch verblendete) Individuen begrenzen.
- Rassismus zeigt sich in neuen Formen: Anstelle von biologischen „Rasse“-Konstruktionen, werden Merkmale wie Kultur und Religion als Unterscheidungskategorie herangezogen.
Schwerpunkt Medien
Deutsche Massenmedien thematisieren und problematisieren Rassismus in den vergangenen Jahren zunehmend. Wie nachhaltig ist diese „neue“ mediale Aufmerksamkeit für Rassismus tatsächlich? Inwiefern geht die Thematisierung mit abwehrenden Tendenzen einher? Im Rahmen einer längsschnittlichen Medienanalyse untersucht der Fokusbericht, wie sich die mediale Sichtbarkeit und Deutung von Rassismus zwischen 1990 und 2021 verändert haben.
Methoden und Forschungszugänge
- Textkorpus: Erstellung eines längsschnittlichen Textkorpus von Rassismus-Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung, Frankfurter Allgemeinen Zeitung und taz von Januar 1990 bis Dezember 2021.
- Umfang: Die Rassismus-Partition umfasst 42.034 Artikel mit knapp 32 Millionen Token.
- Inklusives Rassismus-Diktionär: Entwicklung und Validierung eines inklusiven Rassismus-Diktionärs (Begriffe wie „Rassismus“, „rassistisch“, „Fremdenfeindlichkeit“).
- Automatisierte Textanalyse: Systematische Auswertung der Korpora mittels diktionärsbasierten Häufigkeiten, Feature Extraction, Kookkurrenzen.
- Qualitative Inhaltsanalyse: Tiefergehende Untersuchung der Berichterstattung der SZ zu vier rassistischen Gewalttaten: das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen, der Brandanschlag in Solingen, die NSU-Selbstenttarnung und der Anschlag in Hanau.
Online-Dashboard
Die Ergebnisse und Daten können auch detailliert im Dashboard-NaDiRa.Medien eingesehen werden.
Das Dashboard bietet folgende Möglichkeiten:
- Einsicht der Daten, Automatisierte Textanalyse, Diktionäre, Ergebnisse zur Berichterstattung über Rassismus der Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, taz (42.034 Artikel mit ca. 32 Millionen Begriffen, Zeitraum: Januar 1990- Dezember 2021)
- interaktive Einblicke in die mediale Berichterstattung über Rassismus in Deutschland sowie individuell recherchierbare Daten
Abbildung 1 zeigt zahlreiche kurzfristige Peaks in der Berichterstattung über Rassimus in Deutschland im Zeitverlauf:
- drei längere Hochphasen (in den 1990er Jahren, den frühen 2000er Jahren und nach 2015).
- ab 2010/2011 steigt die mediale Aufmerksamkeit kontinuierlich an, unabhängig von konkreten Ereignissen.
- In den frühen 1990er Jahren steigen die Salienz-Kurven (Pogromen in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen, dem Brandanschlag in Solingen) signifikant an.
- Kurzfristige Aufmerksamkeitsschübe verbunden mit Gewalttaten (Bombenanschlag Juli 2000 in Düsseldorf-Wehrhahn, August 2018 in Chemnitz sowie dem Attentat in Hanau im Februar 2020).
Auch antirassistische Bewegungen und Demonstrationen wirken sich auf die Medienagenda aus:
- Januar 2015 wird intensiv über die bisher größte Pegida-Demonstration berichtet
- Über den gewaltvollen Tod von George Floyd im Mai 2020 und Mobilisierungserfolg der Black-Lives-Matter-Bewegung ist ein weiterer besonders markanter Peak der Berichterstattung zu verzeichnen.
Das bedeutet: Rassismus wird in den deutschen Medien zunehmend thematisiert und direkt benannt. Seit 2010/2011 ist ein nachhaltiger Anstieg der Berichterstattung über Rassismus zu beobachten. Es sind zwei Dimensionen von Rassismus, die aufgrund ihres hohen Nachrichtenwertes medial besonders beachtet werden: Proteste und Gewalttaten.
Abbildung 3 zeigt, dass Rassismus seit 2004/2005 zunehmend und insbesondere ab 2010 explizit benannt wird.
- Im selben Zeitraum geht die Verwendung von Begriffen wie „Fremdenfeindlichkeit“ und „Ausländerfeindlichkeit“ zurück. Diese Begriffe sind Formen problematischen Othering („Veranderung“) und verkennen Rassismus als eigentliche Ursache und sind unscharf, analytisch falsch oder euphemistisch.
Abbildung 4 zeigt, dass die Rassismusberichterstattung der SZ und der taz durch Bezugnahmen auf Rechtsextremismus (Parteien, Bewegungen und Akteur*innen) geprägt ist.
Wie das gedeutet werden kann?
- Rassismus wird oft als gesellschaftliches Randphänomen dargestellt
- Die Berichterstattung fokussiert sich häufig auf rechtsextreme Bewegungen und vermeintliche Einzeltäter*innen
Abbildung 5 zeigt, ab 2010 gehören „systemisch“, „strukturell“ und „antimuslimisch“ in der SZ zu den signifikantesten Adjektiven im Wortumfeld von „Rassismus“. In der SZ und der taz finden sich zudem vermehrt Begriffe wie „betroffen“ und „Betroffene“, was ein Hinweis für eine vermehrte Berücksichtigung von Betroffenen ist.
Wie kann das gedeutet werden?
- Es werden strukturelle Dimensionen und Formen von Rassismus thematisiert.
- Ab 2010 findet die Betroffenenperspektive mehr Berücksichtigung in der Berichterstattung.
Der mediale Diskurs über rassistische Gewalt – Untersuchung des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen (22.–26. August 1992), der Brandanschlag in Solingen (29. Mai 1993), Selbstenttarnung des NSU-Kerntrios (4. November 2011), Attentat in Hanau (19. Februar 2020)– zeigt folgende Tendenzen und spiegelt folgende Themenfelder:
Eingrenzende und Verkürzende Frames:
- Organisierter Rechtsextremismus: Verortung rassistischer Gewalt im Rechtsextremismus (Rostock-Lichtenhagen, NSU)
- Pathologisierung und Einzeltäter*innen: Konzentration auf den Hintergrund und die Motivlage der Täter*innen (Solingen, Halle, Hanau, München)
- Verharmlosung von Gewalt: euphemistische Beschreibung der Taten (Lichtenhagen)
- Opfer-Täter-Umkehrung: Die Betroffenen wird (Teil-)Schuld an der Gewalt, die ihnen widerfährt, gegeben (Lichtenhagen, NSU).
- Schaden für Deutschland: die negativen Folgen der Gewalttaten für Deutschland werden diskutiert (Lichtenhagen, Solingen).
- Verantwortung und Versagen: Der Fokus liegt dabei auf Zuständigkeiten, möglichen Versäumnissen und Untätigkeit der Polizei und des Staats (Lichtenhagen, NSU, Hanau).
- Ermittlung und Recht: Nach den Gewalttaten wird häufig über die laufenden Ermittlungen und rechtlichen Folgen berichtet (NSU).
Öffnende Frames:
- Betroffenheit: Nach den Morden in Hanau ist die Perspektive rassistisch markierter Menschen in Deutschland ab dem ersten Tag der Berichterstattung sichtbar. Hinzu kommt, dass nach Hanau auch über Forderungen und Handlungen der hinterbliebenen Familien und Freund*innen berichtet wird.
- Metadiskurs und Kritik: Kritik an institutionellen Strukturen und Medien findet vermehrt statt.
NaDiRa schließt sich den den Forderungen für mehr Mediendiversität an, die 2020 von den Neuen deutschen Medienmacher*innen, der Google News Initiative, Leidmedien, dem Lesben- und Schwulenverband (LSVD), der MaLisa Stiftung und ProQuote Medien auf der Plattform www.mediendiversitaet.de veröffentlicht wurde.
Handlungsempfehlungen und Maßnahmen:
- Rassismuskritisches Wissen
- Vielfalt und Repräsentation
- Fehlerkultur und Stärkung kritischer Stimmen innerhalb
von Redaktionen
Schwerpunkt Recht und Beratung
Wie können sich Betroffene gegen Rassismus wehren? Welche institutionellen Wege und strukturellen Hürden gibt es?
Auch in diesen gesellschaftlichen Bereichen Recht und Beratung zeigt sich die Doppeltendenz: In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben sich zunehmend Rechtswege eröffnet, durch die Rassismus sanktioniert werden kann. Es hat sich ein breites zivilgesellschaftlich organisiertes Beratungsfeld herausgebildet, welches Betroffene unterstützt. Dennoch zeigen sich im Rechtssystem und auch in der zivilgesellschaftlich organisierten Beratungslandschaft verschiedene Herausforderungen.
Methode und Forschungsansätze des Beratungs- und Recht
- Auswertung von gerichtlichen Entscheidungen, die Begriffe, wie „Rassismus“, „rassistisch“, „Rasse“ und Abwandlung explizit benennen (Grundlage: juristische Datenbank juris, Zeitraum: 2010-2023).
- Argumentationsmuster: Suche nach Mustern in der Annäherung deutscher Gerichte an das Phänomen Rassismus (rechtsdogmatischen Rekonstruktion und kritische Analyse des Rechts).
- 15 semistrukturierte Interviews mit Expert*innen aus dem zivilgesellschaftlichen Beratungsfeld aus Berlin und Sachsen, die Rassismus als Querschnittsthema behandeln und die sich explizit auf Rassismus konzentrieren.
Strafrechtliche Normen, die Rassismus explizit oder implizit thematisieren:
- allgemeine Strafzumessungsnorm des § 46 Abs. 2 Strafgesetzbuch (StGB)
- Explizit sanktioniert wird Rassismus durch den Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 StGB) und
den 2021 eingeführten Tatbestand der verhetzenden Beleidigung (§ 192a StGB). - Implizit sanktioniert wird Rassismus auch durch die einfache Beleidigung (§ 185 StGB) und auch durch den Tatbestand des Mordes (§ 211 StGB).
Diskriminierungsverbote im Deutschen Recht:
- Diskriminierungsverbot (Art. 3 Abs. 3 S. 1 Var. 3 Grundgesetz (GG))
- Gleichbehandlungsgesetz § 1 AGG
- Das zentrale Diskriminierungsverbot ist in § 2 LADG enthalten und lautet wie folgt: „Kein Mensch darf im Rahmen öffentlich-rechtlichen Handelns auf Grund […], der ethnischen Herkunft, einer rassistischen und antisemitischen Zuschreibung, […] diskriminiert werden.“
Die deutschen Gerichte haben Herausforderungen bei der Anwendung der Rechtsnormen:
- Rassismus wird oft nur als Rechtsextremismus verstanden oder als individuelles Problem beschrieben. Dadurch wird der Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbots eingeschränkt und erfasst nicht alle Formen von Rassismus.
Eingeschränktes Rassismusverständnis in der Justiz:
- Rassismus wird beim rechtsextremen Spektrum verortet
- Ein mangelndes Rassismusverständnis zeigt sich im Alltag an deutschen Gerichten: in der Anwendung einer biologistischen, essentialisierenden und insgesamt nicht rassismussensiblen Sprache.
- Die Aussage, dass biologistische Konzeptionen von „Rasse“ zunächst zu Recht abgelehnt werden, führt hier bemerkenswerterweise dazu, dass „Rasse“ als Tatbestandsmerkmal vollständig vernachlässigt wird.
Beratungsorganisationen werden in den Analysen zwischen der einzelnen von Rassismus betroffenen Person und dem Rechtssystem verortet. Es gibt viele zivilgesellschaftliche Beratungsstellen, die Betroffene unterstützen.
Zum Beispiel:
- Beratungsstellen für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt
- Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus
- Antidiskriminierungsberatung (AD-Beratung)
Innerhalb dieser Strukturen wird Rassismus als ein zentrales Element des Rechtsextremismus als auch als eigenständiges, breiteres und die „bürgerliche Mitte“ umfassendes Phänomen betrachtet.
Die Arbeitsbedingungen in diesen Beratungsstellen:
- Die Finanzierung ist unsicher und oft kurzfristig.
- Die Förderprogramme hängen oft von aktuellen politischen Trends ab.
- Arbeitsrealität ist geprägt von Unterbesetzung, befristeten Verträgen und ehrenamtlicher Arbeit.
- Viele Beratungsstellen ihrem Doppelanspruch, kontextspezifisch und bedarfsgerecht zu beraten und zugleich gesellschaftspolitisch wirkmächtig zu sein.
Dieser Bericht hat empirisch gezeigt, dass im Rechtssystem sowie in der auf Rassismus fokussierenden Beratungslandschaft nach wie vor Defizite im Umgang mit Rassismus bestehen, auch wenn Rassismus in allen Bereichen zunehmend anerkannt und adressiert wird.
Allgemeine Maßnahmen und Handlungsempfehlungen:
- Stärkung der rassismuskritischen politischen Bildung
- Stärkung der Zivilgesellschaft
- Verfassungsrechtliche Verankerung der Bekämpfung von Rassismus
- AGG-Reform
- Stärkung der Nebenklage im Strafrecht
- Verlässliche und ausreichende Finanzierung der Beratungsstrukturen, insbesondere auch innerhalb (post-)migrantischer und Community-Selbstorganisationen